2016



Themen 2016: Signaturen ausgewählter Kräuter, Sträucher und Bäume

ST1 Signaturen Paracelsus

Wie kam der Mensch zum Wissen darüber, welche Heilpflanzen bei welchen Krankheiten anzuwenden waren, und wie lernte er, zwischen giftigen und ungiftigen Pflanzen zu unterscheiden? Alles nur nach dem Motto: Probieren geht über Studieren? Wohl kaum.

Schon die alten Ägypter kannten eine Art von Natursymbolik, die sich an Analogien orientierte, und schon im Papyrus Ebers lassen sich die Grundideen der Signaturenlehre erkennen. Die ursprünglichen Wurzeln dieses Denkens in Symbolen mögen in einer Art von Naturhellsichtigkeit gelegen haben, die den meisten Menschen unserer Zeit weitgehend fehlt. Fest steht jedenfalls, dass man schon sehr früh die Vorstellung entwickelte, gelb blühende Pflanzen könnten in Beziehung zur gelben Galle gebracht werden, oder äußerliche Ähnlichkeiten zwischen Pflanzen und Organformen könnten ein Hinweis darauf sein, dass diese Pflanzen geeignet waren, Krankheiten der betreffenden Organe zu heilen.

In vielen Kulturen und Heilsystemen gab und gibt es ausgearbeitete Systeme der Zuordnung nach Signaturen, im indischen Ayurveda ebenso wie in der traditionellen chinesischen Medizin. In der chinesischen Medizin werden beispielsweise Geschmack, Geruch, Farbe, Tages- und Jahreszeiten, Elemente, Organe, Sinnesorgane, Körperteile u.a. zu einem diagnostischen Konzept verbunden, nach dem man für jede Krankheit passende Arzneimittel finden kann, die in einem ebenso komplexen Zuordnungsschema erfasst sind.

Auch die traditionelle abendländische Heilkunde orientierte sich immer schon intuitiv an Signaturen, aber eine systematische, schriftlich ausformulierte Lehre entwickelte sich daraus erst im 16. Jahrhundert durch Paracelsus (1493-1541) und den neapolitanischen Arzt und Alchemisten Giambattista della Porta (1538-1615), der in seinem Buch Phytognomonica anhand von Signaturen ein System von Zusammenhängen zwischen Pflanzen, Tieren und Gestirnen aufzeigte.

Die Signaturenlehre beruht auf der Grundannahme, dass alle Erscheinungen und Wesen in der Natur einschließlich des Menschen und der Geistwesen miteinander in Beziehung stehen.
Diese Signaturlehre besagt nun, dass Heilpflanzen Kennzeichen tragen, die verraten, welche Krankheiten sie heilen können.
Den Pflanzen sind Kennzeichen mitgegeben, die darauf hinweisen, wofür sie dem Menschen dienen können, der Mensch muss nur lernen, diese Kennzeichen zu lesen.
Als Signaturen werden genannt: Geruch, Geschmack, Farbe, Gestalt, Struktur, Beschaffenheit, Standort, Wachstumsphasen, Lebensdauer etc.
Um die Signaturen zu verstehen, werden astrologische Eigenschaften hinzugezogen, die im mittelalterlichen Weltbild die Welt einteilen und erklären.
Die Begründung dafür ist, dass alles zusammenhängt, dass der Makrokosmos mit dem Mikrokosmos korrespondiert. Das heisst, man kann am Stand der Sterne und Planeten ablesen, was auf der Erde aktuell wichtig ist. Im Himmel sieht man die gleichen Prinzipien der Welt, wie im Pflanzenreich und bei den Menschen.


Für Paracelsus war die Signatur die Quelle der höchsten Erkenntnis.
In seinem Buch „Von den natürlichen Dingen“ ist zu lesen:
  
Die Natur zeichnet ein jegliches Gewächs, das von ihr ausgeht, zu dem, dazu es gut ist. Darum, wenn man erfahren will, was die Natur gezeichnet hat, so muss man es an dem Zeichen erkennen welche Tugenden in ihm sind. Denn das muss ein jeglicher Arzt wissen, dass alle Kräfte, die in den natürlichen Dingen sind, durch die Zeichen erkannt werden, woraus dann folgt, dass die Physiognomie und Chiromantie der natürlichen Dinge durch einen jeglichen Arzt zum höchsten verstanden werden sollen (...) denn nichts ist ohne ein Zeichen, das ist, die Natur lässt nichts von ihr gehen, ohne dass sie das nicht bezeichnet, das in ihm ist. Ihr seht ein Exempel an den Menschen, die euch nicht fehlanzeigen, was für ein Herz in ihnen gesippt oder angelegt, und genaturt ist Und es ist nichts so Geheimes im Menschen, das nicht ein auswendig Zeichen an sich hätte.

Die Lehre von der Signatur ist gar aus dem Brauch gekommen und es ist ihrer gar vergessen worden, woraus denn gross Irrsal erfolgt - nämlich, dass bisher noch kein Arzt oder Skribent nach rechtem Grund beschrieben hat, was in den natürlichen Dingen sei sondern allsoviel ihrer sind, nur nach Hörensagen, wie es aus blinder Erfahrenheit erfahren worden ist. Der da die natürlichen Dinge beschreiben will, der muss die Zeichen vornehmen, und aus den Zeichen das selbige erkennen. Denn wie wir den Menschen an seinen Früchten erkennen, so werden wir die Kräuter an ihren Früchten auch erkennen, sobald wir es an den Zeichen erfahren haben. Drum muss ein jeglicher Arzt wissen, dem rechten Grunde nachzugehen, und nicht nach Hörensagen urteilen.

In diesem Sinne wurde milzblättrigen Pflanzen eine Heilkraft bei Milzerkrankungen zugesprochen und man interpretierte die gefleckten Blätter des Lungenkrauts als Hinweis darauf, dass es bei Lungenkrankheiten heilsam wirken würde. Der Augentrost, dessen schöne Blüten an das Auge erinnern, wurde (und wird immer noch) als Augenheilmittel verwendet, und das Schöllkraut, dessen gelber Milchsaft dem Gallensaft so ähnlich sieht, wurde (und wird) gegen Gallenbeschwerden eingesetzt.
Die Walnuss, mit ihrem hirnartigen Aussehen, soll gegen Kopfschmerzen helfen, die geschwollenen Wurzelknöllchen des Scharbockskrauts gegen Hämorrhoiden, Brennnesseln mit ihren Haaren helfen gegen Haarausfall.
Auch wenn die Signaturenlehre von der modernen Medizin als Aberglaube abgetan wird, stellt man bei erstaunlich vielen Heilpflanzen fest, dass ihre Inhaltsstoffe geeignet sind, genau die Wirkungen hervorzurufen, die ihnen laut Signaturenlehre zugeschrieben wurden: Löwenzahn, Schöllkraut, Wermut und Gelbwurzel sind gallenwirksame Heilpflanzen bis auf den heutigen Tag. Und die roten Weißdornfrüchte sind immer noch eine gute Arznei für das Herz – ebenso wie der rot blühende Fingerhut, dessen Wirkstoffe gar nicht aus den Blüten, sondern aus den Blättern stammen.

Und es gibt weitere Analogieschlüsse „phänomenaler“ Art, wie beispielsweise die Schmarotzerpflanze Mistel, in der Rudolf Steiner ein Heilmittel gegen schmarotzende Krebszellen erkannte. Viele Rheumapflanzen wachsen auf feuchten Böden oder bevorzugen feuchtkühles Klima (Feuchtes zu Feuchtem), und die entwässernde, entgiftende Brennnessel wächst bezeichnenderweise dort am liebsten, wo der Boden viel Harnsäure enthält.
Allerdings reicht es für die Erkenntnis möglicher Heilwirkungen nicht aus, sich rein schematisch auf die äußerlichen Details einer Pflanze zu beschränken, sondern sie muss in ihrer Ganzheit erfasst werden – als lebendiges Wesen, das sich durch seine äußere Form und Signatur zwar offenbart, in seinem inneren Kern jedoch noch weit darüber hinausweist.

P.s. Auch in schamanistischen Traditionen, wie beispielsweise bei den Indianern, wird mit Analogien, ähnlich der Signaturenlehre gearbeitet. Das Erkennen der Zeichen, die einem Heilkraut mitgegeben wurden, wird hier meist in Trance gewonnen.